Libanesische Reise #4: UNIFIL und Israel

Seit über 40 Jahren gibt es im Libanon eine UN-Mission, an der heute rund 10 500 Soldaten aus 43 Ländern beteiligt sind. Auch 180 Österreicher sind darunter. Ich habe mir die Sache im Rahmen einer Studienreise mit Irene Etzersdorfer und einer tollen Gruppe vor Ort angesehen. Ein kleiner Bericht aus dem südlichen Libanon und dem UNIFIL-Hauptquartier.

Der letzte Blogbeitrag zu meiner Studienreise in den Libanon. Die anderen sind hier (zu Beirut), hier (zur Verfassung des Libanons) und hier (zu Libanon und dem Völkerrecht) zu finden.

Back to Basics: Was ist Peacekeeping?

Erst mal zum Allgemeinen: UN-Friedensmissionen – oft als „Blauhelme“ bekannt – sind ein Kind des Kalten Krieges. Der Sicherheitsrat und das System der kollektiven Sicherheit haben nie so funktioniert wie gehofft. Zu Beginn hat vor allem die Sowjetunion exzessiven Gebrauch von ihrem Vetorecht gemacht, später die USA.

Eine Blockade, die Alternativen auf den Plan gebracht hat. Um wenigstens etwas zu tun, wurden erst bloße Beobachter entsandt, nach der Suezkrise folgte die erste bewaffnete Friedensmission zwischen Israel und Ägypten. Grundlage war das Einverständnis beider Staaten, daher ist sie auch rechtlich unproblematisch. Später sollten sich zwar die Sowjetunion und Frankreich weigern, die dadurch entstandenen Kosten zu tragen – der Internationale Gerichtshof hat im „Certain Expenses“-Rechtsgutachten allerdings festgehalten, dass Peacekeeping durchaus in den Organisationsbereich der Vereinten Nationen fällt; ungeachtet dessen, dass es nicht in der UN-Charta erwähnt wird und auch, wenn eine Mission von der Generalversammlung und nicht vom Sicherheitsrat einberufen wird. Man spricht hier von „implied powers“.

UNFIL

UNIFIL ist wiederum ein Kind des Nahostkonflikts und des libanesischen Bürgerkriegs. Die „Palästinensische Befreiungsorganisation“ (PLO) unter Jassir Arafat hatte sich nach ihrem Quasi-Rausschmiss aus Jordanien im Libanon niedergelassen und von dort aus Angriffe auf Israel ausgeführt. Am 11. März 1978 kam es zu einem besonders schwerwiegenden Anschlag, der kurz darauf zum israelischen Einmarsch in den Libanon und der Besetzung des Südens führte. Der Libanon legte Protest bei den Vereinten Nationen ein, zumal er nicht hinter den Angriffen stand. Der Sicherheitsrat verabschiedete am 19. März eine Resolution (425), die Israel zum Truppenabzug aufforderte und die Einrichtung der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) einrichtete. Sie sollten den Abzug beobachten, die Sicherheit wiederherstellen und die libanesische Regierung bei der Wiederherstellung ihrer Gebietskontrolle unterstützen.

1982 marschierte Israel aufgrund von Grenzkämpfen allerdings erneut im Südlibanon ein, drei Jahre später kam es zu einem Teilabzug. Damit war UNIFIL nur eingeschränkt handlungsfähig, der endgültige Abzug sollte erst im Jahr 2000 erfolgen.

Die „blue line“

Der Truppenabzug wurde von den UNIFIL genau dokumentiert: die „blaue Linie“ – keine Grenze, sondern der Bereich, in dem es keine ständige israelische Präsenz mehr gab. Inklusive einer Grenzmauer, die den geneigten Beobachter an die Westbank erinnert (nur ohne Banksy-Graffitis) UNIFIL beobachtete fortan das Einhalten dieser Linie. Die genaue Grenzziehung zwischen Israel und dem Libanon ist bis heute strittig, ein Friedensvertrag ist nicht in Sicht.

Am 27. Juli 2000 folgte Sicherheitsrats-Resolution 1310, mit der der Süden stabilisiert und die Präsenz libanesischer Truppen sichergestellt werden sollte. Die Zahl von UN-Personal sollte von 4 513 auf 5 600 steigen, zu den Aufgaben gehörte nun auch das Entfernen der israelischen Minen im Grenzgebiet und die langfristige Sicherheit, sowohl innerhalb des Südens als auch zwischen Israel und dem Libanon. Das österreichische Bundesheer stellt ungefähr 180 Soldaten, der größte Einsatz nach Kosovo und Bosnien und Herzegowina.

Hisbollah

Das Gebiet rund um die „blue line“ wurde allerdings von der Hisbollah kontrolliert, die in den USA und Europa als Terrororganisation eingestuft wird. Der Libanon wollte seine Armee ohne Frieden nicht unmittelbarer Nähe zu den israelischen Truppen stationieren.

In den darauffolgenden Jahren sollten sich die Spannungen zwischen Israel und der Hisbollah immer öfter zuspitzen, Israel verletzte den libanesischen Luftraum, die Hisbollah nahm wiederum israelisches Gebiet unter Beschuss.

Schlüsseljahr 2005

2005 war ein Schlüsseljahr für den Libanon und damit auch für die Beziehungen zu Israel. Im Februar wurde Premierminister Rafiq al-Hariri getötet, gefolgt von Großdemonstrationen, Bombenangriffen in Beirut, zwei weiteren Morden und einen Angriff auf den Verteidigungsminister. Ende April gab Assad den Protesten nach – die seit 1976 im Land präsenten syrischen Truppen wurden abgezogen, was freie Wahlen ermöglichen sollte. Das Land schwankte zwischen Aufbruchsstimmung und Chaos.

Im Mai 2005 kam es zu wechselseitigen Beschüssen zwischen Israel und der Hisbollah, im Juni folgte ein Grenzgefecht, bei dem ein israelischer Soldat getötet und vier weitere verwundet wurden. Die Hisbollah verlor dabei zwei Kämpfer. Im November brach die Hisbollah erneut die Waffenrunde und es kam zum intensivsten Feuergefecht seit dem israelischen Truppenabzug, im Dezember schoss sie mehrere Raketen auf Israel.

Der Libanonkrieg 2006

Im Juli 2006 eskalierte die Situation vollends. Erst feuerte die Hisbollah mehrere Raketen ab, zeitgleich wurde eine israelische Patrouille jenseits der blauen Linie angegriffen, wobei drei Soldaten getötet, zwei verwundet und zwei entführt und in den Libanon gebracht wurden – der casus belli für eine 34 Tage andauernde israelische Militäroperation im Libanon. Dieser Libanonkrieg ist bis heute eine Projektionsfläche. Zwar wurde Israel das Recht auf Selbstverteidigung zugestanden, was bis heute als ein zentrales Argument dafür gilt, es auch auf nicht-staatliche Akteure wie die Hisbollah anzuwenden. Andererseits stand Israel wegen der massiven Zerstörung libanesischer Infrastruktur und den rund 1200-1300 getöteten Menschen in der Kritik. Umgekehrt feiert die Hisbollah die gescheiterte Bodeninvasion im Süden als Erfolg und Bestätigung ihrer Guerilla-Kriegsführung. Die Hisbollah lebt bis heute von den damaligen Erfahrungen, auch im Syrienkrieg hatte sie auf Seiten Assads gekämpft.

Neues UNIFIL-Mandat

Die Kampfhandlungen hatten nolens volens auch manifeste Auswirkungen auf UNFIL, das 16 Verletzte und fünf Tote vermeldete. Es kam allerdings zu keinem Truppenabzug, UNIFIL versuchte, seinen Aufgaben so gut es ging weiter nachzukommen.

Am 11. August verabschiedete der Sicherheitsrat Resolution 1701, die eine vollständige Waffenruhe verlangt und eine Pufferzone vorsieht, in der nur die libanesischen Regierungstruppen (15 000) und UNIFIL – ebenfalls mit maximal 15 000 Soldaten – mit Waffen präsent sein dürfen. Sie verläuft von der „blue line“ zum Litani-Fluss. Zusätzlich zum ursprünglichen Mandat sollte UNIFIL nun auch die Waffenruhe beobachten, die libanesischen Truppen im Süden unterstützen, die sichere Rückkehr der Geflüchteten im Land unterstützen und der libanesischen Regierung dabei helfen, die Einfuhr von Waffen zu verhindern. UN-Blauhelme im Libanon dürfen Waffen zur Selbstverteidigung und – unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit – ausnahmsweise zwecks Unterbindung von feindseligen Handlungen oder Einschränkungen ihrer Tätigkeiten oder zum Schutz von UN-Personal einsetzen. In der Praxis kommt das allerdings selten bis gar nicht vor. Schließlich möchten die Herkunftsländer der UN ihre Soldaten keinen Risiken aussetzen – man denke nur an den überhasteten Abzug österreichischer Soldaten aus dem Golan. Zur Not kann das also durchaus in entwürdigenden Situationen enden.

UNIFIL ist im übrigen die einzige UN-Friedensmission mit eigener Flotte, die aus 6 Schiffen und 800 Angehörigen besteht und gemeinsam mit dem libanesischen Militär auf der Küste Libanons operiert.

Und heute?

Die Entwaffnung der Hisbollah ist bis heute nicht gelungen. Ihre Popularität in der Region und auch im gesamten Land als „Widerstandskämpfer“ ist ungebrochen. „Im Süden leben 99% Schiiten und 100% unterstützen die Hisbollah“ meinte ein Beobachter vor Ort uns gegenüber. Das vom libanesischen Staat betriebene „Widerstandsmuseum“ in Mleeta, der zentralen Verteidigungslinie beim israelischen Vorrücken anno 2006 (auch scherzhaft als „Disneyland für Dschihadisten“ bezeichnet), das die Hisbollah-Taktiken ebenso darstellt wie zerstörtes israelisches Kriegsgerät, versinnbildlicht diese Verflechtung (siehe Bildergallerie unten). Israel ist nach wie vor der gemeinsame Feind, ich habe nicht nur einmal gehört, dass die Hisbollah „das tut, wozu der libanesische Staat nicht in der Lage ist“. Als der offensichtlich Hisbollah-nahestehende „Guide“ im Museum mit gellender Stimme „justice is better than peace“ sagt, bilde ich mir ein, die simple Wurzel des Nahostkonflikts gefunden zu haben.

Der libanesischen Regierung fehlt dementsprechend der Wille und wohl auch die Kapazitäten für eine Entwaffnung der Hisbollah. Sie hat damit nach wie vor keine vollständige Kontrolle über ihr Gebiet. Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah betont immer wieder ihre militärische Schlagkraft. Offen präsent, etwa mit Checkpoints, ist sie zwar nicht mehr, aber das braucht eine Guerilla-Organisation auch nicht. „Teacher by day, fighter by night.“

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