Wieso US-Polizisten meistens keine Strafen fürchten müssen und ob der US-Präsident das Militär im Inneren einsetzen kann (Spoiler: ja).
Polizistengewalt in den USA
Gewalt durch US-Polizisten gegen dunkelhäutige US-Bürger ist leider ein altes Phänomen. Neben geschichtlichen und politischen Hintergründen gibt es hier auch juristische Missstände: Die Militarisierung der Polizei und die häufige Straffreiheit von Polizisten bei Fehlverhalten.
So gab es in den letzten Jahren zwar einen Trend zu weniger tödlichen („less lethal“) Mittel, um Proteste oder gewaltsame Ausschreitungen unter Kontrolle zu bringen – offensichtlich eine wichtige und positive Entwicklung. Allgemein gelten hier schließlich die menschenrechtlichen Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit.
Andererseits kann auch der Einsatz von Tränengas oder Gummigeschosse und ähnliches über das Ziel hinausschießen und im schlimmsten Fall zum Tod führen (siehe dazu diesen Amnesty International-Bericht). Mit anderen Worten: Es gibt keine nicht-tödlichen Waffen.
Ein zweites Problem betrifft die Straffreiheit für Polizisten im Fall von Verstößen gegen menschenrechtliche und andere Verhaltenspflichten. Das US-Strafverfolgungssystem weist grobe Missstände auf und läuft letztens auf ein „erst schießen, dann nachdenken“ hinaus – was auch am US-Waffenrecht liegt: Polizisten müssen bei jedem Bürger befürchten, dass er/sie bewaffnet ist. So wurde ein US-Polizist in einem Fall vor dem US Supreme Court nicht bestraft, der zusätzlich zum Einsatz von Nagelsperren auf ein Auto geschossen hat, wobei der flüchtige Fahrer gestorben ist. In der abweichenden Meinung betonte Richterin Sotomayor daher, dass hier eine stärkere Abwägung stattfinden müsse:
Balancing a particular governmental interest in the use of deadly force against the intrusion occasioned by the use of that force is inherently a fact-specific inquiry, not susceptible to bright lines. But it is clearly established that the government must have some interest in using deadly force over other kinds of force. … When Mullenix [der Polizist] confronted his superior officer after the shooting, his first words were, “How’s that for proactive?” … The glib comment does not impact our legal analysis; an officer’s actual intentions are irrelevant to the Fourth Amendment’s “objectively reasonable” inquiry. See Graham v. Connor, 490 U. S. 386, 397 (1989). But the comment seems to me revealing of the culture this Court’s decision supports when it calls it reasonable—or even reasonably reasonable—to use deadly force for no discernible gain and over a supervisor’s express order to “stand by.” By sanctioning a “shoot first, think later” approach to policing, the Court renders the protections of the Fourth Amendment hollow.
Agnes Callamard, UN-Sonderberichterstatterin für außergerichtliche, standrechtliche und willkürliche Tötungen sieht in dieser gerichtlichen Handhabung mit potentiell tödlicher Polizeigewalt einen klaren Widerspruch zu den internationalen Standards:
But the U.S. legal framework for police use of force does not comply with the international standards of necessity and proportionality. It is governed instead by the principle of reasonableness and the doctrine of qualified immunity. The former permits law enforcement officers to use lethal force where it is “reasonable” to do so given, for example, the severity of the crime underway, the threat posed by the suspect, whether arrest is being resisted, etc. The latter, however, shields police from being sued except under the most narrow of circumstances. In the unusual case that violence or death at the hands of the police reaches court, the police officers’ assessment dominates, leading most often to “not guilty” verdicts.
Das Militär im Inneren
Im Zuge der #GeorgeFloyd-Proteste Trump hat gedroht, gegebenenfalls auf Grundlage des „Insurrection Act“ von 1807 das Militär im Inneren einzusetzen.
Grundsätzlich darf das Militär eigentlich nicht in den USA beziehungsweise gegen die US-Bevölkerung eingesetzt werden (der Posse Comitatus Act) – ein Grundsatz, der in allen liberalen Demokratien gilt. Zum einen ist es dafür nicht ausgebildet und ausgestattet (siehe oben), zum anderen soll die Verfassung vor einer Machtübernahme der Armee schützen.
Allerdings besteht eine Ausnahme für Ausnahmezustände wie Aufstände oder weitreichende Plünderungen – eben der Insurrection Act. Ob Trump dazu die jeweiligen Gouverneure braucht, ist rechtlich nicht so klar wie manche meinen. In Washington D.C. kann er jedenfalls für 30 Tage die Kontrolle über die Polizei übernehmen. In anderen Bundesstaaten droht im schlimmsten Fall ein Machtkampf mit der US-Regierung.
Allgemein gibt die US-Rechtslage zu Ausnahmezuständen dem Präsidenten weitreichende Kompetenzen. Das ist einerseits nachvollziehbar – etwa, wenn ein Bundesstaat sich auflehnt oder es dort zu einem lokalen Coup d’état gekommen – andererseits gefährlich, wenn „der Falsche“ an der Spitze steht. Ein weiterer Grund für die USA, das bestehende politische System zu überdenken (einen guten Artikel zu den Notstandskompetenzen des Präsidenten findet ihr übrigens hier).