Wann und wie kann der russische Krieg gegen die Ukraine beendet werden? Welche Faktoren spielen hier eine Rolle? Ein kurzer Blick in die Empirie.
Ich für meinen Teil bin dafür, sich jede Situation einzeln anzusehen. Wenn man sich die Geschichte von zwischenstaatlichen Kriegen ansieht, gibt es aber einige allgemein gültige Beobachtungen. Ein kurzer Überblick:
1.) Demokratien und unterdrückerische Staaten führen tendenziell kürzere Kriege: Zwischen 1816 und 1985 dauerten Kriege von (semi-autokratischen) Staaten, die weder in die eine oder die andere Kategorie fallen, im Durchschnitt 22.4 Monate. Für Demokratien betrug der Wert wiederum lediglich 9,2 Monate wenn sie den Krieg begonnen haben und 16.7 Monate wenn andere Staaten die Initiatoren waren. Der kürzere Wert lässt sich einfach erklären: Es gefällt der Bevölkerung nicht, wenn Unsummen ausgegeben werden und Soldaten in Särgen nach Hause kommen. Dementsprechend ziehen Demokratien tendenziell nur dann in den Krieg, wenn sie einen schnellen Sieg erwarten (10 der zwölf von demokratischen Staaten geführten Lriege wurden gewonnen – wenn man das in Kriegen überhaupt so sagen kann).
Diktaturen sind wiederum ungleich risikofreudiger, weil sie sich nach innen nicht verantworten müssen, Staatschefs ihren Machterhalt selbst bei einer Niederlage absichern können und sie folglich auch Kriege mit geringen Erfolgsaussichten und potentiell hohem Gewinn für Angehörige der Elite beginnen – die dafür entsprechend schnell wieder vorbei sein können, konkret 11.8 Monaten bei Angriffskriegen (ansonsten 18 Monate). Die „Siegesrate“ liegt bei unterdrückerischen Regimen bei lediglich 50%.
2.) Ein weiterer Faktor, der Kriege in die Länge ziehen kann, sind lange bestehende Rivalitäten zwischen den involvierten Staaten: Dann sind auch die Verhandlungs-Fronten eher verhärtet. Jetzt ist die Frage, wie tiefgehend die Verwerfungen zwischen der Ukraine und Russland sind: Zwischen Brudervolk und alten Feinden gibt es viel Platz (siehe dazu etwa dieses Interview mit dem Ukraine- und Russland-Experten Andreas Kappeler).
3.) Wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten haben einen positiven Einfluss: Sie verringern nicht nur die Wahrscheinlichkeit von Kriegen an sich (weil sie gesamtwirtschaftlich ruinös sind, siehe dazu schon Norman Angell in seiner Schrift „Europe’s Optical Illusion“ von 1909), sondern tragen auch dazu bei, sie zu verkürzen. Sanktionen können also einen entscheidenden Beitrag leisten. ABER:
4.) Die Art der globalen Mächteverteilung spielt auch eine Rolle: Ein multipolares System, also eines, das aus mehreren mächtigen Staaten besteht, führt zu längeren Kriegen, weil die Beteiligten sich eher nach alternativen Partnern umsehen können. Aktuell sieht man ja, dass Russlands drastisch verschlechterte Beziehungen zum Westen zu einer stärkeren wirtschaftlichen Abhängigkeit von China führen. Auch andere (Regional-)Mächte wie Indien, die Vereinigten Arabischen Empirate oder Saudi-Arabien wollen als lachende Dritte aussteigen.
5.) Bei Friedensverhandlungen besteht allgemein ein spieltheoretisches Dilemma: Beide Staaten verzögern in der Hoffnung, dass die jeweils andere Seite vorher klein beigibt. Dann kann ein ursprünglich als „Blitzkrieg“ geplanter Angriff zu einer „Materialschlacht“ (war of attrition) werden. Hier sind auch Macht- und Größenverhältnisse relevant, zumal Aggressoren – die „Initiators“ – eher klein beigeben, wenn der Krieg (zu) lange andauert. Selbst ein „small but determined enemy capable of inflicting damage can compensate for some of the disadvantages of size. Larger states may settle for much less, and weak states may gain more, depending on their performance in war.“ (Quelle)
Summa summarum: Die zwischenstaatlichen Kriegen seit dem 19. Jahrhundert teilen einige Faktoren, die Kriege länger oder kürzer machen, die einer friedlichen Lösung im Wege stehen oder sie begünstigen. Dennoch bin ich mit Prognosen – wie gesagt – vorsichtig. Jeder Krieg hat seine eigene Dynamik. Im Guten wie im Schlechten.
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