Wem gehört Jerusalem?

Donald Trump dürfte am Mittwoch Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen. Doch wem „gehört“ die heilige Stadt im völkerrechtlichen Sinne eigentlich?

Wie unlängst angemerkt, historisch ist die Sache nicht so einfach. Jerusalem spielt bekanntlich in allen drei großen Weltreligionen eine bedeutsame Rolle, den zentralen Stellenwert schlechthin hat es aber nur im Judentum.

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Aussicht vom Dach des österreichischen Hospizes in Jerusalem

Jerusalems wechselnde Eigentümer

Jerusalem war 400 Jahre lang (von 1517-1917) Teil des osmanischen Reichs; ab 1917 und bis zur Staatsgründung Israels wiederum wurde es von Großbritannien kontrolliert: Während des Ersten Weltkriegs als Besatzer, von 1922 an als Mandatsmacht. Gebietsansprüche der Osmanen oder gar der Türkei sind mit dem Zerfall ihres Reichs und aufgrund der internationalen Obhut jedenfalls untergegangen.

Souveränität im Sinne rechtmäßigen Quasi-Eigentums über das Gebiet hatte Großbritannien jedoch zu keinem Zeitpunkt. Vielmehr verwaltete es das Gebiet lediglich: Erst im eigenen Namen, später für den Völkerbund.

Der UN-Teilungsplan

Nach dem Zweiten Weltkrieg sah der Teilungsplan der UN-Generalversammlung ein „Special International Regime“ für Jerusalem vor. Als entmilitarisiertes und neutrales Gebiet sollte es keinem der beiden neuen Staaten gehören. Vielmehr war eine zumindest 10 Jahre lang andauernde Obsorge des UN-Treuhandschaftsrats vorgesehen.

Part III. – City of Jerusalem(5)

  1. SPECIAL REGIME

The City of Jerusalem shall be established as a corpus separatum under a special international regime and shall be administered by the United Nations. The Trusteeship Council shall be designated to discharge the responsibilities of the Administering Authority on behalf of the United Nations.

Der UN-Teilungsplan wurde mit 33 Ja-Stimmen und 13 Gegenstimmen (darunter Afghanistan, Ägypten, Iran, Irak, Libanon, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien, die Türkei und Jemen) angenommen. Die arabischen Staaten griffen Israel nach der Unabhängigkeitserklärung an, Israel kontrollierte nach dem Krieg den Westen Jerusalems, Jordanien den Osten inklusive der Altstadt. Die Stadt wurde also faktisch geteilt.

Israel erklärte Jerusalem 1950 zur Hauptstadt und auch Jordanien formalisierte seine Kontrolle. Ab 1952 verabschiedeten sich die UN-Generalversammlung und die Sicherheitsratsmitglieder zunehmend vom Gedanken, Jerusalem als internationales Gebiet definieren zu können. Jordanien konnte aufgrund der rechtswidrigen Eroberung Jerusalems (schließlich wurde Israel angegriffen) jedenfalls keine Souveränität über Ostjerusalem erlangen.

Umgekehrt kann auch Selbstverteidigung keinen gültigen Anspruch begründen. Israel erlangte während und nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 daher keine rechtmäßige Souveränität über Westjerusalem. Auch hierbei handelte es sich um eine Besetzung des Gebiets, völkerrechtliche Gewalt – auch zu Selbstverteidigungszwecken – ist keine Grundlage für den Gebietserwerb. Israel betonte im Rahmen der Debatten zum UN-Betritt bei der Generalversammlung noch 1949 seinen Willen, den Status Israels auf Grundlage internationaler Übereinstimmung festzulegen:

The most salient feature of the Government of Israel’s present attitude to the Jerusalem problem was its earnest desire to see the juridical status of the city satisfactorily determined by international consent. […]

The Government of Israel would continue to seek agreement with the Arab interests concerned in the maintenance and preservation of peace and the reopening of blocked access into and within Jerusalem. Negotiations on that subject would not, however, affect the juridical status of Jerusalem, to be defined by international consent.

Der Sechs-Tage-Krieg

Im Zuge des Sechs-Tage-Kriegs konnte Israel auch Ostjerusalem unter seine Kontrolle bringen. Üblicherweise sollen Truppen aus im Zuge von Konflikten eroberten Gebiete wieder abziehen. Eine solche Rückgabe an Jordanien war jedoch insofern nicht geboten, weil Jordanien wie gesagt seinerseits keine rechtmäßige Souveränität über Ostjerusalem innehatte. Es gab also keinen Staat, an den Ostjerusalem hätte zurückgegeben werden können. Im Verhältnis zu Jordanien hatte Israel jedenfalls den „besseren Rechtstitel.“ Israel war, in römisch-rechtlichen Kategorien gesprochen, beatus possidens: Wenn zwei Staaten einen gleich guten/schlechten Rechtstitel haben, obsiegt der tatsächliche Inhaber.[1]

Am 27. Juni 1967 verabschiedete die Knesset ein Gesetz, mit dem ganz Jerusalem einverleibt und zur israelischen Hauptstadt werden sollte, ein Prozess, der mit einem „Grundgesetz“ (basic law) vom 30. Juli 1980 endgültig abgeschlossen wurde.

Allerdings hatte die israelische Führung (wie im Übrigen auch Jordanien) sich bereits vor der Unabhängigkeit 1946 darauf verständigt, dass jede Veränderung des Status Jerusalems von der UN genehmigt werden musste.

Außerdem verurteilten die Generalversammlung und der UN-Sicherheitsrat die israelische Annexion mehrfach, weswegen auch alle Handlungen Israels in Bezug auf Jerusalem ungültig seien. Allerdings ist eine Annexion eigentlich die Einverleibung von Gebiet, das einem anderen Staat gehört. Das ist bei Jerusalem wie erwähnt nicht der Fall. (interessanterweise verweisen die Sicherheitsrats-Resolutionen auf den Status Jerusalems, ohne ihn näher zu definieren).

Resolution 478 /1980 [verabschiedet als Reaktion auf die israelische Einverleibung Jerusalems per Grundgesetz]

The Security Council, […]

3. Determines that all legislative and administrative measures and actions taken by Israel, the occupying Power, which have altered or purport to alter the character and status of the Holy City of Jerusalem, and in particular the recent „basic law“ on Jerusalem, are null and void and must be rescinded forthwith;

Hier gilt es freilich zu bedenken, dass viele Staaten (oft aus antisemitischen Gründen) mit Anti-Israel-Politik politisches Kleingeld machen. Mit Israelkritik lässt sich schon lange gut von den Missständen im eigenen Land ablenken.

Allerdings haben auch westliche und Israel grundsätzlich wohlgesinnte Länder diese Annexion nicht anerkannt. Selbst die USA sahen Jerusalem nicht als Hauptstadt Israels an. Sollten sie das jetzt tun, wird es keine Auswirkungen auf die (Völker-)Rechtslage nach sich ziehen: Israel ist weiterhin Besatzungsmacht, womit auch insbesondere die Bestimmungen der Vierten Genfer Konvention zur Anwendung kommen.

Jerusalem als terra nullius?

Es ließe sich eventuell noch argumentieren, dass Israel Jerusalem gewissermaßen „ersessen“ hat. Dazu braucht es den entsprechenden Willen (animus occupandi) und faktische Innehabung über einen längeren Zeitraum. Außerdem darf das betroffene Gebiet niemandem gehören. Jerusalem war in der Tat nicht Teil des Gebiets eines anderen Staats. Dagegen wird eingewendet, dass die Quasi-Souveränität erst beim Völkerbund und später bei den Vereinten Nationen lag, die als einzige einen Rechtstitel übertragen könnte – was, wie gesagt, nicht geschehen ist.[2]

De iure und de facto

Der genaue völkerrechtliche Status von Jerusalem ist unklar. Mehr als den ursprünglichen Teilungsplan und Verurteilungen der Annexion durch Israel gibt es nicht. Auch deshalb wird immer und immer wieder die Notwendigkeit von Verhandlungen betont.

Jerusalem wird jedenfalls schon lange von Israel kontrolliert. Trumps Anerkennung fußt also auf der Theorie der normativen Kraft des Faktischen (Georg Jellinek). Völkerrechtlich ist es allerdings eine Entität eigener Art, die sich einer konkreten territorialen Zuordnung entzieht. Das Land gehört niemandem (auch nicht der UNO), ist aber auch kein herrschaftsloses und damit für jeden erwerbbares Gebiet. Daher handelt es sich auch um keine typische Annexion. Im Völkerrecht spricht man von einem Status sui generis – „eigener Art.“ Ein Begriff, der immer dann genannt wird, wenn man keine befriedigende Antwort oder Kategorie findet.

Im völkerrechtlichen (und auch politischen) Idealfall findet sich eine Lösung, die auch von den Vereinten Nationen gebilligt wird. Realistischerweise wird das  nicht passieren, zumindest nicht in absehbarer Zeit.

Verweise:

[1] Stephen M Schwebel, ‚What Weight to Conquest?‘ (1970) 64/2 The American Journal of International Law 344.

[2] Antonio Cassese, ‚Legal Considerations on the International Status of Jerusalem‘ (1986) 3 The Palestine Yearbook of International Law 13.

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